Vor mir sehe ich eine matschfreie Weggabelung. Endlich!
Der Schweiß rinnt mir in Strömen vom Gesicht und ich muss mich dringend ausruhen und etwas essen. Seit gefühlt einer Stunde schleppe ich nun schon mein riesiges, schweres XL- Mountainbike inklusive schwerem Rucksack auf den Schultern durch die Matschpiste.
Wir wollen die Nacht in Jaruco am Felsen La Jaula zelten und klettern. Doch mit diesen Schlammmassen haben wir nicht gerechnet und kämpfen uns samt Kletterausrüstung, Essensvorräten und Zelten schritt für Schritt durch Wald und Wiesen ins Dorf Jaruco in Zentralkuba durch.
An der Gabelung lassen wir uns nur noch kraftlos samt Fahrrädern ins Gras fallen. Ein plötzliches Geräusch lässt uns aufhorchen: ein riesiges dickes rosa Schwein schaut uns mit großen Augen an. Wo sind wir hier gelandet?
Ich laufe die Gabelung ab und traue meinen Augen nicht – der Weg nach links, als auch der nach rechts ist mit einem Gatter verschlossen. Verdammt! Haben wir uns verfahren? Wo zum Teufel sind bloß die anderen?
Kletterexkursion abseits der Touristenpfade
Wir sind neun Kletterer aus Havannas Bouldergemeinschaft die nach Jaruco fahren wollen.
Havanna ist bezüglich des Coronavirus in Phase 3. Das bedeutet, dass wir eigentlich noch nicht aus der Provinz Havanna rausdürfen und dass es keinen öffentlichen Nahverkehr gibt.
Das Dorf Jaruco mit dem Kletterfelsen La Jaula liegt in der Provinz Mayabeque in Zentralkuba.
Unser Plan ist es in Jaruco zu Zelten und per Fahrrad den Kontrollpunkt auf einer Strecke por el monte (bedeutet so viel wie übers Land) zu entgehen. Umgangsprachlich wird es dem deutschen „durch die Pampa“ gerecht.
So eine Reise muss gut geplant werden. Hier gibt es laut unserem heutigen Organisator Pablo keine Versorgungsmöglichkeiten, nur einen Brunnen in der Nähe.
Was uns erwartet wissen wir nicht – nur dass die Bolts (Bohrhaken) am Felsen lange nicht mehr gewartet wurden und rostig sein sollen, und dass das letzte Mal jemand vor Corona vor ca. 1.5 Jahren am Felsen gewesen sein soll.
Zelten in der Pampa will gut geplant sein
Wir treffen uns also am Vorabend im Haus von Danny im Stadtteil Cerro und verteilen das Gepäck.
4 von und 10 haben einen Gepäckträger am Fahrrad und werden die Zelte transportieren. Wir teilen das schwerste Equipment gerecht untereinander auf. Das sind die Kletterseile, Exen (Karabinerschlingen) und die Macheten, um den Weg zum Felsen freischlagen zu können.
Anschließend machen wir eine Liste mit dem Essen und schauen was wir evtl. noch brauchen könnten. Vor Ort wollen wir Spaghetti kochen. Für die Zwischenmahlzeiten und das Frühstück sollen Kekse, Brot, Mayonaise und Thunfisch ausreichen. Wasser wollen wir direkt vor Ort besorgen.
Dafür soll jeder einen leeren 5 Liter Wasserkanister mitnehmen, um damit das Wasser zum Waschen aus dem Brunnen zu holen.
Dann teilen wir uns noch die kleineren Reiseutensilien auf, welche wenigstens in einmaliger Ausführung dabei sein sollten: Verbandskasten, Radflicken, Petroleum zum Feuermachen, Kochutensilien, etc.
Der frühe Vogel fängt den Wurm
Um 3.30 Uhr klingelt mein Wecker.
Ich springe ungewohnt munter für diese Uhrzeit aus dem Bett, denn ich habe so gut wie nicht geschlafen.
Die Aufregung und die Ungewissheit, was uns in Jaruco wohl erwarten wird, haben in meinem Unterbewusstsein ihr Unwesen getrieben und mich aller halblang aus einem anderen Traum herausgerissen.
In Havanna Vieja treffen wir uns alle. Trotz verschlafenen Blickes sind wir alle bester Stimmung und starten aufgeregt in unser Abenteuer.
Havannas Nachtleben
Wir begeben uns an der Zugstation von Havanna vorbei in das Industriegebiet am Hafen. Gut, dass wir an die Lichter gedacht haben.
Hier, wo die Überlandstraße Via Blanca beginnt, ist schon früh morgens unheimlich viel Verkehr. Die Kreuzungen sind unübersichtlich.
Gottseidank kennt sich Pablo aus, denn mein Orientierungssinn hat mich bereits verlassen. Hier im Hafenindustriegebiet erkennen wir in der Dunkelheit die Umrisse riesiger Kräne und Container.
Bei der Fahrt durch den für den Santeriakult berüchtigten Stadtteil Regla kommen uns Massen an nächtlichen Partygäste entgegen. Offiziell gibt es aufgrund von Corona noch keine Partys in Kuba, doch die geselligen Kubaner organisieren dann eben Homepartys.
Endlich sind wir auch in Guanabacoa durch und aus der Stadt. Noch immer ist es dunkel und die schwarzen Umrisse riesiger Königspalmen ebnen unter sternenklaren Himmel unseren Weg.
Wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen
Nachdem wir in der Nähe von Alamar unser locker gewordenes Gepäck wieder angezurrt und etwas Mani (Erdnüsse) gefrühstückt haben, sammeln wir Juan und Ramiro ein und genießen einen traumhaften Sonnenaufgang auf dem Land.
Wir sausen die Hügel der Landstraße herunter und lassen uns von Umrissen der kubanischen Känigspalmen umgeben von weißen Nebel und herrlich, goldenen Morgenrot verzaubern.
Möge ich doch bitte noch viele weitere solcher Sonnenaufgänge erleben!
Wir durchqueren kleine Dörfer, unter anderen Bacuranao, La Gallega, Las Minas und gelangen endlich nach Arango. Am Dorfplatz mit der hübschen kleinen Kirche versammeln wir uns. Die Dorfbewohner sind um 8 Uhr morgens schon auf den Straßen, denn die Kubaner sind es gewohnt ganz früh einkaufen zu gehen.
Hier in Kuba gilt das Motto „wer zuspät kommt den bestraft das Leben“, denn oft wird täglich nur eine begrenzte Ration von einem Produkt verkauft.
Neugierig werden wir gemustert, denn seit dem Ausbruch des Coronavirus vor sieben Monaten hat wohl niemand mehr eine Gruppe von mit Zelten bepackter Radfahrer gesehen. Wir kaufen uns etwas selbstgepanschten kubanischen Saft, mehr gibt es hier leider nicht zu holen. Wehmütig schaue ich in einen Lagerraum eines angrenzenden Hauses. Hier stapeln sich Eierkartons in die Höhe.
Am liebsten würde ich sofort welche kaufen, denn auch Eier sind in Havanna zur Mangelware geworden und ohne Lebensmittelkarte fast nur noch überteuert und selten auf dem Schwarzmarkt zu finden.
Haben wir uns das wirklich gut überlegt?
„Wollen wir nicht doch lieber auf der Landstraße weiterfahren? Ich hab so ein mulmeliges Gefühl, dass uns eine Schlammpiste erwartet“, meinte ich noch zu Ramiro, der sich auf den Mountainbikerouten hier im Campo(auf dem Land) bestens auskennt.
„Nein, auf der Landstraße kommen wir zum punto control (Polizeikontrollpunkt) von Mayabeque. Mach dir keine Sorgen – es hat seit drei Tagen nicht geregnet, die Pfade sind trocken.“
Nun denn, auf in den Busch!
Von Arango aus biegen wir in einen Feldweg ein, der uns ca. 11 Kilometer weit que durch die Pampa nach Santa Barbara führen soll. Die Sonne geht auf und taucht die taufrischen Feldwege in goldenes Licht.
Jubelnd werden die nasobucos (kubanisch für Mundschutz) verstaut und wir atmen tief und befreit die frische Landluft ein. Endlich raus aus Havanna und weit weg vom Coronavirus und von der oldtimerverpesteten Luft! Haben wir das vermisst!
Matschpiste
Doch schon bald vergeht uns das Lachen. Vor uns liegt eine Matschpiste. Ramiro meint, es sei der einzige Weg, er sei ihn schon öfter gefahren. „Der Matsch ist nur hier an dieser Stelle, weiter vorne wird es wieder besser.“ meinte er.
Also Räder schultern und vorwärts kämpfen. Mit dem schweren Rucksack samt Zelt und Kletterausrüstung und meinem XL Mountainbike ist das gar nicht so einfach.
Mit Yanni an der Spitze beginnen wir mit geschulterten Rädern durch den Matsch zu watten. Nach ca. einer Stunde kommen wir an eine schlammfreie Kreuzung. Erschöpft lasse ich mich mit Yanni ins Gras fallen.
„Hey, da geht es nicht weiter, da sind weit und breit nur Kuhweiden.“, ruft uns ein vorbeilaufender Bauer aus der Ferne entgegen.
Doch plötzlich fällt mir was auf. „Hey, lasst uns auf Ramiro warten. Ich bin hier schon einmal gewesen. Das ist der Weg zum Stausee La Coca und damals sind wir umgedreht da der Weg einfach unbefahrbar war.“
Verloren irgendwo im Nirgendwo
Wo sind die anderen? Weit und breit ist niemand zu sehen. Beim konzentrierten Schlammwatten haben Yanni und ich alles um uns herum hergessen und nicht einmal zurückgeschaut. Wir nutzen die Pause und verspeisen Schinkenbaguettes und torticas (dicke kubanische Butterteigkekse mit gaaanz viel Zucker).
Noch immer hören wir nichts. Yanni beginnt nach den anderen zu rufen, doch niemand antwortet. Hoffentlich haben wir uns nicht verlaufen. Wir warten und warten. Die Weggabelung an der wir sitzen, ist zu beiden Seiten durch Viehgatter verschlossen. Geht es rechts oder links weiter?
Dicke schlammverschmierte, rosa Schweine und braune Ziegen spazieren an uns vorbei und schauen uns mit großen Augen an. Minutenspäter kommt ein Pferd mit einem blinden Auge des Weges entlang. Wenigstens gibt es hier noch etwas Zivilisation.
Dann vernehmen wir plötzlich ein Knacken und sehen nach einer Stunde Warten endlich jemanden aus unserer Gruppe. Schwerfällig hievt Carmelis ihr schweres Rad durch die Schlammpfütze vor uns und verliert dabei einen Schuh im Schlamm.
„Was ist los? Sind wir auf dem falschen Weg?“, fragen wir.
„Nein, alles gut, Wollte euch nur Bescheid geben, dass wir einen Schlauch flicken und das Gepäck separat über den Schlamm tragen, daher dauerts so lange.“
Endlich trudeln die anderen ein und Ramiro weist auf das rechte Gatter. „Da gehts lang, der letzte schließt das Tor.“
Matschpiste die Zweite
Als wir unsere Räder so gut es geht vom dicksten Schlamm befreit haben und wieder einigermaßen normal treten können, geht es weiter. Kühe grasen zur linken Seite der Route und schauen uns kauend neugierig zu.
Der Weg ist nun grasbewachsen und realtiv gut zu befahren. Doch schon an der nächsten Böschung traue ich meinen Augen nicht. Was ist das – ein Fluss?!
Oh je, wenn das die anderen sehen. Ich traue mich als erste in das braune Wasser und gebe grünes Licht. „Hier sinkt man nicht tief ein, da ist eine Steinplatte drunter.“
Aber Achtung – Rutschgefahr!
Langsam schiebt sich unsere Kolone durch den Schlammfluss und den dahinterliegenden Hügel herauf. So langsam sind wir wirklich am Ende unserer Kräfte.
Wann sind wir endlich da?
Völlig entkräftet lassen wir uns an der nächsten Böschung unter einen Baum fallen. Krisensitzung ist angesagt. Und welch ein Wunder – ein handelt sich um ein Guayababaum! Wir schütteln den Baum, die Früchte fallen herab und rollen uns zu Füßen.
Glücklich schmatzend verdrücken wir die noch etwas unreifen Früchte, als plötzlich ein Traktorfahrer vorbeikommt. Er fragt uns vorher wir kommen.
„Havanna!“, rufe ich aus und beiße mir direkt auf die Zunge. Manno – das darf doch wegen Corona niemand wissen!
„Ah Arango“, meinte der Bauer. „Si si“, bestätigen wir schnell.
„In 2 Kilometern seid ihr auf der Landstraße, da liegt das Dorf Santa Barbara.“ erklärt er uns. Puh – nur noch 2 Kilometer bis zur Zivilisation! Das Schlimmste liegt also hinter uns.
Endlich Halt unter den Füßen
Ohne weitere Probleme erreichen wir die Landstraße, doch das ersehnte Dorf mit einer Cafeteria bleibt aus. Santa Barabara scheint dann wohl die vor uns liegende Ansammlung der weit voneinander entfernten drei Hütten in der Pampa zu sein.
Na super!
Vor den Holztoren der Häuser pragt jeweils ein aufgespießter Kuhschädel. Schaudernd mache ich das ich davonkomme – das hier erinnert mich zu sehr an alte Horrorfilme.
Erst Schlamm, dann Berganfahrt
Wir sind froh endlich wieder Asphalt unter den Rädern zu haben, doch diese Strecke hat es in sich.
Die Hügel sind steil und wir müssen uns langsam im kleinsten Gang nach oben kämpfen.
Der Ausblick auf die vor uns liegenden Felsen von Jaruco (Escaleras de Jaruco) umgeben von Bananenstauden und Königspalmen ist jedoch atemberaubendend und spornt uns weiter an. An der nächsten Straßenkreuzung angekommen läutet das Ortsschild von Jaruco endlich das naheliegende Ziel ein.
Wir beschließen die Gruppe hier zu sammeln und danach zu entscheiden wie wir weiter vorgehen.
Straßenimbiss
Ausgehungert und platt wie wir jetzt um 13 Uhr sind, beschließen wir direkt hier am Straßenrand die Wartezeit zum Mittagessen zu nutzen.
Ich habe mir gestern eine Ricebowl mit Quimbombo, Aubergine und Linsen zubereitet, Yanni hat sogar Schweinefilets mit. Autos zischen an uns vorbei während wir abgekämpft und müde aber zufrieden unser kaltes, aber leckeres Mittagessen verdrücken.
Campvorbereitung
Als alle versammelt sind, beschließen wir zunächst gemeinsam zum Camp zu fahren und unsere Sachen da abzulegen. Danach soll ein Teil der Gruppe die Zelte aufbauen, der andere Teil nochmals losfahren und in Tapaste Trinkwasser besorgen. Die leeren Kanister sollen im nahegelegenen Brunnen eines Bauern mit Wasser zum Waschen und Kochen befüllt werden.
Die Kletterfelsen des Sektors „La Jaula“, welcher zum Gebirge von Jaruco gehört liegt an der Straße zwischen Peru und Tapaste.
Doch der Weg in den Wald hinein ist mit Sträuchern und marabu (hartnäckige, kubanische Unkrautpflanze mit spitzen Stacheln) total verwachsen. Carlos und Pablo machen sich mit ihren Macheten an die Arbeit und schlagen den Weg durch den Wald frei. Auf dem Weg zum Felsen finden wir mehrere der fiesen Guao-Pflanzen.
Wir geben Acht keiner davon zu nahe zu kommen. Eine Freundin von mir hatte eine dieser Pflanzen mal mit dem Gesicht gestreift und ihr tagelang ein angeschwollenes Gesicht verpasst.
Minizeltplatz
Nach ca. einer halben Stunde können wir unsere Rücksäcke und Zelte endlich hoch zum Felsen schleppen. Doch das Marabu und die Zweige verfangen sich in unserem Gepäck und wir stellen fest, dass es unmöglich ist, die Räder heil zum Felsen hochzutragen.
Glücklicherweise stellt uns eine kubanische Bauernfamilie, welche in der gegenüber vom Wald liegenden Hütte wohnt, ihren Hinterhof zum Parken zur Verfügung. Haben wollen Sie dafür nichts – die bedingungslose Hilfsbereitschaft der armen Einheimischen auf dem Land rührt mich einmal mehr.
Den Zeltplatz habe ich mir allerdings etwas anders vorgestellt. Er liegt zwischen 2 Felsen und ist ca. 10 Quadratmeter breit.
Wie sollen wir hier alle hinpassen und auch noch kochen? Immerhin haben wir an die 6 Zelte dabei.
Die „Toilette“ ist ein Felsen, den man ca. 100 Meter weiter weg im Wald findet. Hoffentlich muss ich diesen nicht nachts aufsuchen, denke ich mir. Die netten Nachbarn haben uns etwas Petroleum gegeben, um ein Lagerfeuer anmachen zu können. Hier wollen wir abends Spaghettis für alle kochen.
Peru und sein „Supermarkt“
Ich entscheide mich dazu, mich trotz schmerzender Beine und Pobacken nochmals aus Fahrrad zu schwingen und zum Supermarkt nach Tapaste zu fahren. Schnell sammel ich das Geld für die Einkäufe ein, denn wir brauchen Wasser und Rum. Als ich wieder unten an der Straße ankomme höre ich jubelnde Ausrufe.
Wir haben Besuch!
Ein Teil der Kletterclique aus Havanna ist als Überraschung nach Jaruco gekommen. Aber wie ist das möglich?! „Wir sind um 13 Uhr in Havanna losgefahren und haben die Landstraße genommen.“
Anscheinend gibt es doch keinen so aufmerksamen Kontrollposten auf der Strecke zwischen Havanna und Jaruco wie uns erzählt wurde… Das bedeutet, wir hätten in 2 Stunden ohne Probleme von Havanna in Jaruco sein können. Stattdessen haben wir uns seit 5 Uhr morgens stundenlang durch den schlammigen Wald gequält….
Ich schlucke den Frust runter und hake es als typisch kubanisches Abenteuer ab. Unsere Freunde wollen etwas in Jaruco klettern und am Abend wieder zurück nach Havanna fahren. Ich beschließe, es Ihnen gleich zu tun, denn die Lust aufs Zelten ist mir heute so ziemlich vergangen.
Unsere Kletterfreunde aus Havanna, die sich hier am Felsen bestens auskennen, empfehlen uns Wasser im Dörfchen Peru zu kaufen, welches nur 2 Kilometer weit entfernt ist. Das liegt viel näher als Tapaste.
Wir schwingen uns also wieder aufs Rad und fahren umgeben von einem Tal mit traumhaften Felsen und Palmen nach Peru.
Hier angekommen weisen die Dorfbewohner auf einen kleinen Kiosk, der eher einem Wohnwagen oder Container gleicht. Tatsächlich steht da TRD dran, welches diese kontainerähnliche Blechdose als Supermarkt kennzeichnet.
Es gibt nur ein einziges langes Regal im Kiosk, welches aus Erwachsenenwindeln, 6 verschiedenen Rumsorten und Wasserflaschen besteht. Für unsere heutigen Grundbedürfnisse die perfekte Angebotskombination.
Ich spüre jedoch ein leichtes Bedauern für die Dorfbewohner. Scheinbar gibt es gerade nichts anderes als Rum und Wasser. Alle anderen Besorgungen müssen Sie wohl in den weit entfernten Städten oder größeren Dörfern wie Tapaste erledigen.
Wir stopfen unsere Rücksäcke voller Wasser und kaufen für den Abend Havana Club Ron Especial. Schwerbeladen geht es zurück zum Felsen.
Campingidylle
Zurück im Camp sind die Zelte bereits aufgebaut. Für mein Zelt wäre schon gar kein Platz mehr gewesen, mehr als 4 Zelte passen hier in die Felsspalte nicht hinein.
Die Jungs versuchen gerade ein Feuer zu machen, um im mitgebrachten riesigen Kochtopf Spaghetti kochen zu können. Es qualmt wie verrückt im Lager – da brauch wohl noch jemand Übung.
Ich nehme Reißaus und begebe mich zu den Kletterwänden.
Klettersektor „La Jaula“
Es ist bereits um vier Uhr nachmittags und ich möchte mich vor der Rückfahrt noch mit den Kletterfelsen von Jaruco bekanntmachen.
Jeder Klettersektor in Kuba hat eine andere Felsstruktur, erklärte mir meine Kletterfreundin Elvira. Und tatsächlich – die Felsen in Jaruco sind im Vergleich zum Boulder in Havana viel anspruchsvoller. Das Gestein ist relativ glatt (Placa) und hat wenig große Griffe, dafür umso mehr Fingerlöcher.
Es ist schwer mit dem Kletterschuh einen Halt zu finden – die ist eine andere Klettertechnik als in Havanna und viel Balance gefragt. Der Sektor „La Jaula“ ist nicht so gut dokumentiert, wie die Kletterfelsen z.B. in Viñales, da kaum jemand nach Jaruco kommt. Anibal Fernandez (einer der „Urväter“ des Kletterns in Kuba) erzählte mir, dass es in La Jaula circa 20 Kletterrouten gibt, die leichtesten sind V, 6a, 6b und die Schwerste ein 7c.
Die Bolts der schwersten Routen sind schon schwer verrostet und müssen erneuert werden. Die einfachsten Routen sind noch relativ stabil und wurden vor einigen Jahren mit neuen Bolts versehen. Drei der erfahrensten Kletterer unserer Gruppe sind dabei drei Routen vorzusteigen.
So können die Nachfolger Top Rope klettern, das heißt das Seil ist nur am Ende der Route befestigt und man muss sich während der Route nicht in die Bolt einklippen. Das erleichtert das Klettern und ermöglicht einen schnelleren Wechsel zwischen den Teilnehmern.
Über den Palmen
Die längste Strecke hier am Sektor La Jaula ist ein 6c und erhebt sich hoch über den Baumkronen.
Von da oben hat man einen traumhaften Blick über das Tal. Elvira verspricht mir von oben die Aussicht zu fotografieren, denn diese Route ist leider noch zu anspruchsvoll für mich.
Rückfahrt bei traumhaften Sonnenuntergang
Es ist um 18 Uhr und meine Freunde aus Havanna und ich machen uns bereit für die Rückfahrt. Ich freue mich nach der schweißtreibenden Schlammtour von heute Vormittag und mit schmerzenden Muskeln am ganzen Körper unglaublich auf mein weiches Bett und eine warme Dusche.
Wir verabschieben uns von dem Teil der Gruppe, der am Felsen übernachtet, und nehmen die Landstraße über Tapaste, Cotorro und San Miguel zurück nach Havanna. Ohne Schlamm und sonstige Probleme ist die Fahrradstrecke von Jaruco nach Havanna ein echter Genuss. Die Sonne geht unter und färbt das grüne Palmental in gelborangenes Licht.
Wir erfreuen uns am Farbenspiel und geben dennoch Gas, denn die Straßen Kubas sind bei Dunkelheit mit den teilweise ziemlich tiefen Schlaglöchern und unbeleuchteten Straßen nicht ungefährlich.
Im Vorort Cotorro erreicht uns bereits die Dunkelheit. Die Radlichter werden hervorgeholt und wir fahren bedacht und langsam.
Zu Hause angekommen, falle ich erschöpft, aber noch ganz benommen von den vielen neuen Eindrücken und Abenteuern des heutigen Tages sofort ins Bett.
Hinweise für eine Fahrradtour nach Jaruco und zum Klettern und Zelten am Felsen La Jaula
Der Kletterfelsen La Jaula liegt auf der asphaltierten Landstraße über Cotorro ca. 40 km von Havanna entfernt. Auf dem Hinweg sind wir jedoch zunächst nach Las Minas gefahren und dann weiter nach Arango.
Von Arango aus sind wir über die MTB Routen, die regelmäßig für die MTB Wettbewerbe genutzt werden, weiter nach Santa Barbara und von da aus nach Jaruco.
Diese Strecke ist samt Kletter- und Zeltgepäck nicht als Hinweg zu empfehlen, da sie auch noch Tage nach dem letzten Regenfall tolle Schlammpisten für dich bereithalten kann.
Die Gegend um Jaruco eignet sich jedoch hervorragend für eine eintägige Fahrradtour ab/an Havanna. Mountainbikefahrer können die Strecke von Arango nach Santa Barbara nehmen.
Wem die aphaltierte Straße lieber ist, der kann sich an dieser Aufzeichnung orientieren:
An diesem Tag sind wir zu den tollen Aussichtspunkten auf den Escaleras de Jaruco gefahren (davon 5 km auf den Escaleras de Jaruco auf einer MTB Route auf dem Berg – sehr schöne, einfache MTB Strecke).
In Jaruco erwarten dich unvergessliches Panorama: das mit vielen Palmen bewachsene Tal und die herausragenden weiß-grauen Felsen des Naturschutzgebietes der Escaleras de Jaruco.
Die empfehlenswerten Aussichtspunkte sind der Mirador de Jaruco und (für die unter euch, die keine steile Berganfahrt scheuen) der noch höher gelegene von Restaurant El Arabe. Hier sieht man von hinunter ans Meer kilometerweit über das ganze Tal mit mehreren Stauseen (Embalse San Miguel, Embalse Jaruco, La Coca).
Ein Geheimtipp von mir: das kleine kubanische Dörfchen Castilla. Es eignet sich hervorragend für eine Picknickpause mit traumhaften Blick auf einen See, Kuhweiden und die dahinterliegenden Berge der Bergwelt von Jaruco.
Etwas Essbares bekommt man rund um Jaruco in El Peru (Wasser, Rum, evtl. Brötchen und kubanischen Saft und Softdrinks) oder in Tapaste (alles). Wer gerne während seiner Radtour in einem richtigen Restaurant essen möchte, kann dies im Restaurant El Arabe tun. Dieses staatliche Lokal ist ein im edlen, arabischen Stil eingerichtetes Restaurant. Essen typisch rustikal, kubanisch, Toiletten seeeehr kubanisch (kein Wasser, kein Toilettenpapier).
Zelten und Klettern in Jaruco am Felsen La Jaula sollte gut geplant werden und bestenfalls mit einem einheimischen Kletterer erfolgen, welcher den Weg zum Felsen kennt und mit einer Machete umgehen kann und die Kletterrouten kennt. Wie gesagt, sind einige der Kletterrouten nicht zu empfehlen, da die Bohrhaken lange nicht mehr gewartet wurden und oxidiert sind.
Wer nicht mitten im Wald zwischen den Felsen zelten möchte, kann dies auch auf den Wiesen um die Felsen herum tun. Wasser zum Waschen, Trinken und Kochen muss in Peru oder in Tapaste besorgt werden. Lebensmittel etc müssen alle mitgenommen werden, da es in Peru gegebenenfalls nichts zu kaufen gibt.
Die Kletterrouten in Jaruco eignen sich eher weniger für Kletteranfänger, denn es sind nur 1 oder 2 Routen mit Schwierigkeitsgrad V vorhanden, welche ich auch sehr anspruchsvoll fand, da die Felsstruktur im Gegensatz zu in Havanna sehr glatt ist und eine gute Balance und Technik erfordert.
Unbedingt Insektenmittel und Antiallergikum mitnehmen und vor den giftigen Guao-Pflanzen in Acht nehmen.
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