Behutsame setze ich einen Fuß nach dem anderen auf und suche Halt in der zerklufteten Felswand. Ob die Bohrhaken auch halten, welche letzte Woche hier eingesetzt wurden?
Es sind here noch nicht viele Menschen an der Wand gewesen… Ich schiebe die negativen Gedanken beiseite, denn ich weiß ja, wie stark der Kopf beim Klettern involviert ist.
Da höre ich plötzlich ein “Ping” unser meinem linken Fuß. In sekundenschnelle verlagere ich mein Gewicht auf das andere Bein und stürze nicht ab, wo der Felsbrocken unter meinem linken Fuß krachend nach unten stürzt. Gut, dass mein Sicherungspartner einen Helm auf hat…
Raus aus der Quarantäne
Der Sonne scheint zum Fenster herein und ich springe freudestrahlend aus dem Bett! Yeah – heute ist mein erster Tag in Freiheit nach 9-tägiger Quarantäne. Die letzten Tage musste ich wegen einem Deutschlandaufenthalt die Wohnung hüten und habe nun endlich auch mein drittes und letztes Coronatestergebnis (vorgeschrieben in Kuba nach einem Auslandsaufenthalt) vorliegen.
Neuer Klettersektor in Cojimar
Ziel des heutigen Tages ist die neue Kletterwand in Cojimar. Endlich gibt es eine weitere Klettermöglichkeit in Havanna! Denn den Sektor namens “Boulder Habana” am Fluss Almendares kennen wir schon fast auswendig, da wir da regelmäßig zum Feierabend abhängen. Vor ca. einer Woche hat mein Kumpel Rafa, welcher die Wand in Cojimar entdeckt hat, diese mit einigen weiteren Locals ausgerüstet. 3 neue Routen soll es da geben (einen 5er, einen 6a und einen 6c), die längste soll zweimal so lang sein wie die Wand im Boulder Habana.
La Lanchita – Die Fähre von Havanna
Per Rad treffen wir uns zu fünft um 10.00 Uhr morgens in Centro Habana. Seit Beginn von Corona verkehrt die lanchita (Fähre) nicht mehr (mittlerweile 2023 wieder in Betrieb). Die Fähre, die wie ein öffentliches Verkehrsmittel die Stadtteile Regla und Casablanca auf der anderen Seite der Bucht, mit dem Stadtzentrum verbindet ist bei Radfahrern besonders beliebt. Ohne lange anzustehen und bei tollen Ausblick kann man unkompliziert und ohne lange Wartezeit die Bucht überqueren und ist ruckzuck in Cojimar, Alamar und an den Stränden Playas del Este.
El Ciclobus – der Radbus von Havanna
Ansonsten muss der Radfahrer den riesigen Ausweg über die Via Blanca nehmen oder den Stadtteil Regla überqueren um auf die andere Seite der Bucht zu kommen. Die Alternative zur Lanchita ist der ciclobus (Fahrradbus) von Havanna. Dieser steht heute auf unserem Plan. Wir erreichen die Bushaltestelle an der Bar La Cabaña in Habana Vieja und suchen uns ein gemütliches Plätzchen im Gras. Mehrere Motorräder und Roller und Fahrräder stehen schon in Reih und Glied Schlange. Fahrräder haben Vorrang. Anschließend wird der ciclobus der Reihenfolge nach mit den Motorrädern aufgefüllt. Wer wegen Überfüllung nicht mitkommt muss auf den nächsten Bus warten.
Immer mit der Ruhe
Auch hier gibt es keinen Busplan mit festen Abfahrszeiten. Der ciclobus verkehrt theoretisch aller 10 Minuten, doch schon vor einem Monat haben wir 1 Stunde gewartet. In bester Gesellschaft und bei Sonnenschein macht uns das aber nichts aus und wir tauschen den neuesten Tratsch der Woche aus. Dann endlich nach ca. einer Stunde warten sehen wir Ihn den endlich: den roten ciclobus. Es kommt Bewegung in die Menge, alle springen auf. Der Bus fährt zur Rampe hervor und öffnet die Türen.
Erst raus, dann rein
Ein Roller nach dem anderen wird auf die Rampe gehieft und die Besitzer rollen behutsam auf die Straße heraus. Endlich kommt der Schaffner zur Tür hinaus – wir sind dran. Der Fahrpreis für die beträgt 3 CUP (mittlerweile 2023 5 CUP). Ratternd fährt der Bus in den unbelüfteten und abgasreichen Tunnel von Havanna hinein, welcher uns unter der Bucht hindurch bringt und nahe der Festung El Morro wieder herauskommt. Es gibt nur einen offiziellen Haltepunkt für den ciclobus und der befindet sich im Vorort Camilo Cienfuegos am Hospital Naval. Wir rollen mit unseren Radrrädern die Rampe herab und fahren weiter in Richtung Cojimar.
Mittagstief
Als wir ankommen ist es bereits 12 Uhr. Zeit für ein Mittagessen, bevor es ans Eingemachte geht! Wir haben zwar Essen mitgebracht, verspüren aber gerade einen großen Hunger auf fettige, kubanische Straßenpizza. Als ich das letzte Mal im Dezember 2020 in Cojimar war, haben wir Pizza für 15 CUP gefunden. Wir machen uns auf den Weg, doch da angekommen erwartet uns ein verschlossenes Tor „No hay queso, no hay pizza“ (Es gibt kein Käse, also auch keine Pizza) lesen wir an einem angeklebten Zettel. Och Mist!
Neues kubanisches Preisniveau
Doch wir haben Glück und ein vorbelaufender Junge gibt uns die Adresse einer anderen Pizzeria, welche offen sein soll. Da angekommen staunen wir nicht schlecht: zum einem da es Kaffee gibt (ein Traum, denn Kaffee ist in Kuba gerade „perdido“ – verschollen), zum anderen als wir die neuen Preise 2021 sehen: 25 CUP für eine kleine Straßenpizza! Wahnsinn wie schnell die Preise in Kuba mit der Währungsreform gestiegen sind. Die Straßenpizzen haben immer zwischen 10 und 15 CUP gekostet (mittlerweile in 2023 findet man keine Pizza mehr unter 120 CUP).
Auf ins Nirgendwo
Als wir alles zufrieden satt sind machen wir uns auf den Weg zur Wand. Unser Kumpel Dayan, welcher bereits da gewesen ist, führt uns an. Schnell erreichen wir den Stadtrand und laufen eine grüne Wiese zum gleichnaimigen Fluss Cojimar herunter, welche mit herrlich gelb blühenden Blümchen übersäht ist. Einen krassen Kontrast dazu bietet die sich hinter dem Fluss erhebende graue Plattenbaumlandschaft vom Vorort Alamar. Unser Weg führt uns labyrinthartig durch einen Wald. Gut dass Rafa und die anderen Leute den Weg bereits ausgetreten und ab und an mit provisorischen Geländern aus Stöcken, welche zwischen den Bäumen befestigt wurden, ausgestattet haben. Sonst hätten wir hier schnell die Orientierung verloren.
Die Waldrutsche
Plötzliche stehen wir vor einem Trampelpfad, welcher wie eine Rutsche steil in den Wald herunter reicht. Von beiden Seiten gibt es keine Haltemöglichkeiten, außer ein paar mikriger Sträuche und Gräser. Hier ist bestimmt schon so manch einer voller Länge heruntergesegelt. Wir überlegen kurz und entscheiden uns dann für einen angenehmen Abgang: ein Seil wird an einem Baum befestigt und wir hangeln uns der Reife nach daran in den Wald hinab. Unten angekommen befinden wir uns bereits am Ufer des Rio Cojimar. Der Boden ist feucht und lehmig, doch wir haben Glück und versinken nicht in der grauen Masse – in der Regenzeit im Sommer sieht es hier bestimmt anders aus. Die lehmige Masse ist übersetzt von münzgroßen Löchern. Welche Krebse und Spinnenarten wohl hier im Untergrund zu unseren Füßen leben?
Willkommen im Kletterparadies
Endlich sind wir an der Kletterwand angekommen. Verborgen hinter Lianengewächsen und Sträuchern verbirgt sie sich hier mitten im Nirgendwo bei Cojimar. Der Boden ist besprengelt von grauen feinen Sand, welches Staubwolken aufwirbelt sobald man drauftritt. „Hier braucht man gar keinen Chalk, der Boden ist voll davon“, witzeln wir. Ich kann mir gut vorstellen, wie staubig wir nach dem Nachmittag wohl heimgehen werden. Die Wand fasziniert mich durch die scharfkantigen, komplett durchlöcherten Abschnitte, welche sich wie Schweizer Käse an viele Stellen hervorheben. Wie es wohl ist, sich daran festzuhalten? Besonders stabil sehen die Käselöcher nicht aus.
Honigbauer
„Was ist denn das da?!“, frage ich erstaunt in die Runde und zeige auf ein schwarzes Loch in der Mitte der Wand, in dem sich hellbraune Wachsplatten befinden. „Hast du noch nie Bienenwaben gesehen?“, staunt Claudi. Da sehe ich sie auch, die kleinen Bienenschwärme. Und leider nicht nur einen einzigen, ungefähr drei Stellen an denen Bienen herumschwirren kann ich auf den ersten Blick ausmachen. „Die Routen sind eigentlich weit genug davon entfernt, aber seid trotzdem vorsichtig“, meinte Ricky. Die Schauergeschichten von Kletterfreunden, welche in luftiger Höhe von einem Bienenschwarm angegriffen wurden und sich um sich schlagend abseilen lassen mussten sind mir gut in Erinnerung geblieben. Für mich als Deutsche sehen die kleinen Wildbienen von Kuba verglichen mit den heimischen Wespen und Hornissen eigentlich ganz süß aus, aber man sollte sie nicht unterschätzen.
Mittagstief
Die Männer packen die Seile aus und machen sich auf dem Weg zum Umlenker. Die Wände in Cojimar sind nur am Ende der Route gerüstet, hier kann man erstmal nur Top Rope klettern. Nächste Woche soll es eine zweite Ausrüstungsaktion geben, während derer auch die Bohrhaken entlang der Route angebracht werden sollen. Wir Mädels beschließen erstmal eine Runde zu chillen und nochmals zu Mittag zu essen. Ein Glück, dass wir eine Schwangere unter uns haben. Seitdem ist immer eine Hängematte mit von der Partie. Glücklich verschlinge ich meine mitgebrachten Nudeln mit roten Bohnen und genieße die Stille hier draußen im Wald. Endlich wieder Freiheit spüren! Die letzten 9 Tage in Quarantäne waren bei schönsten Sonnenschein und Ausflugswetter nicht so witzig gewesen.
Erkundung in luftiger Höhe
Nach ca. einer halben Stunde sind zwei Seile angebracht und wir haben unser Mittagstieg überwunden. Aufgeregt legen wir unsere Gurte an und begutachten die Routen unter den zwei Umlenkern. Eine der Routen ist wohl ein 6b und ist gekennzeichnet durch mehrere schwierige Felsvorsprünge die es zu überwinden geht. Die Route überlasse ich den Fortgeschrittenen unserer Fraktion und begebe mich als Anfänger zu meiner Schweizer Käse Route, die ein 6a sein soll. An der anderen Seite des Felsens soll es eine leichte Route mit Schwierigkeitsgrad 5 geben, aber die lassen wir uns für unseren nächsten Besuch.
Wenn es dir den Boden unter den Füßen wegzieht
„Derjenige der sichert bekommt einen Helm, die Felsen sich noch nicht gut erkundet“, meint Ricky und verteilt die vorsorglich mitgebrachten Helme. Dann geht es los. Vorsichtig beginne ich mich am Schweizer Käse Felsen hochzuhangeln. Ich fühle mich unsicher, da ich die Beschaffenheit der Wand nicht kenne und ständig Brocken der Stellen, an denen ich mit Händen und Füßen Halt suche abbrechen und nach unten stürzen. Mit den Händen taste ich die herabhängenden Felsen ab, welche stark an durchlöchertes, heruntergelaufenes Kerzenwachs erinnern. Gerade möchte ich mich an einen sicherer aussehenden Felsen festklammern da vernehme ich ein hohles Geräusch zwischen meinen Fingern. Ich klopfe fest gegen den Brocken und es ertönt ein lauter, hohler Ton. „Das Dings bricht ja gleich ein! Wenn ich mich daran nach oben ziehe, hole ich doch den ganzen Felsen herunter“, denke ich und meine Beine fangen an zu zittern.
Wackelige Angelegenheit
„Hey Leute, hier darf erstmal einer die Felsen abklopfen, ich komme runter!“, rufe ich und bringe mich in Position zum Abseilen. Mit wackeligen Beinen komme ich unten an. Dayan löst mich ab und beginnt die Wand mit einem Stein abzuklopfen. Gebannt schauen wir zu. Plötzlich zerreisst ein hohler Ton die erwartungsvolle Stille. Übeltäter Nummer eins wäre schon einmal entlarvt. Dayan klopft mit einem Stein kraftvoll gegen die hohle Stelle. „Geh in Deckung Rebekka“, ruft mir Ricky zu, da ich unten sichere. „Ich hab doch deinen Helm, keine Sorge“. „Ja, aber deine Füße haben keinen Helm an“, lacht er. Ich schaue auf meine FlipFlops herunter und gehe soweit nach hinten, wie es mir das begrenzte Areal am Felsen erlaubt. Da knackt es plötzlich und eine tellergroße Granitplatte kracht mit einen lauten Aufprall auf den Boden und zerschellt in tausend Stücke. Uff.. so etwas möchte ich nicht beim Klettern vom Felsen holen geschweige denn beim Sichern abbekommen. In der Wald klafft nun ein riesiges Loch. Dayan klettert weiter nach oben und sucht weiter nach labilen Felsstellen. Der Boden ist mittlerweile übersäht von Felsbrocken. Rafa wird seine Wand wohl nicht wiedererkennen, wenn er nächste Woche zurückkehrt.
Abendstimmung
Die Sonne sinkt bereits tiefer am Horizont und wir machen uns auf die Socken. Um 18 Uhr soll (reduziert wegen Covid) der letzte ciclobus nach Havanna abfahren. Falls wir den nicht erwischen, müssen wir per Rad die ganze Bucht umfahren und darauf sind wir nicht so scharf. Wir spazieren durch den Wald nach Cojimar zurück und die späte Nachmittagssonne taucht die Umgebung in warmes, goldenes Licht. Zufrieden und glücklich, eine so schöne neue Kletterwand nahe Havanna zu haben, schwingen wir uns auf die Räder und radeln zur Haltestelle in Camilo Cienfuegos. Diesmal haben wir Glück und warten nicht länger als 5 Minuten auf den Bus. Als wir aus dem Tunnel herausfahren und im Zentrum ankommen entscheiden wir uns dafür einen Umweg über die Uferpromenade Malecon zu nehmen. Die Sonne geht gerade unter und es gibt nichts herrlicheres als bei Sonnenuntergang den Malecon entlang nach Hause zu radeln.
Hinweise zu einem Kletterausflug nach Cojimar
Die Anreise nach Cojimar erfolgt per Mietauto oder per Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln.
Per Rad kannst du entweder die Bucht umfahren siehe Strava Aufzeichnung oder wenn du etwas gemütlicher eingestellt bist, so wie wir an diesem Tag, die Bucht von Havanna von Habana Vieja aus per Fähre (kurz nach dem Terminal de Cruceros = Kreuzfahrtterminal) oder per Fahrradbus (am Tunel de Habana schräg vor der Bar Cabaña) überqueren (siehe Strava Aufzeichnung).
In Cojimar bekommst du eigentlich immer etwas zu Essen oder zu Trinken. Aktuell in 2023 würde ich unbedingt genug Wasser mitnehmen, da dies gerade Mangelware ist.
Falls du nicht so auf kubanische Straßenpizza stehst, kannst du auch ins Restaurant Ajiaco gehen (gute kubanische Küche) oder in den „bayrischen“ Biergarten Jardin de Bavaria gehen und da mit etwas Glück selbstgemachte deutsche Bratwurst und Kartoffelsalat finden.
Die Fahrräder kannst du nicht herunter zur Kletterwand mitnehmen. Wir haben unsere Räder bei einem Bekannten eingeschlossen oder manchmal jemanden an der Ponchera kurz vor dem Weg der zum Wald führt gegen einen Obulus eingeschlossen. Hier findest du den Wanderweg zur Kletterwand aufgezeichnet.
Mittlerweile gibt es regelmäßig geführte Ausflüge zum Klettern in Cojimar. Diese starten ab/an hospital Naval in Camilo Cienfuegos. Highlight dieser geführten Ausflüge ist neben dem Klettern auch ein Pendelflug über das Tal des Rio Cojimar. Beim geführten Ausflug kannst du auch Kletterausrüstung ausleihen (Achtung: sehr benutzt, im Zweifelsfalle lieber eigene Ausrüstung mitbringen). Empfehlenswert ist der Ausflug besonders für Kletteranfänger oder Neulinge und für alle die einen sehr einfachen, gemütlichen Kletter-Wandertag in der Nähe von Havanna erleben möchten und anschließend noch auf den Spuren des Schriftstellers Hemingway durch dessen Lieblingsfischerort Cojimar spazieren möchten. Schreibt mich gerne an und ich organisiere euch eine dieser geführten Kletterexkursionen. So verlierst du dich nicht im Wald von Cojimar und bist mit zusammen mit den Locals unterwegs.